BOLETIN Y ELEGIA DE LAS MITAS(1963-2007),

Szenische Kantate über das gleichnamige Gedicht von César Dávila Andrade.

Das 16ten Jahrhundert ist schicksalhaft für den amerikanischen Kontinent. Die Eroberung Amerikas durch die Europäer initiiert eine neue Periode in der Geschichte der Menschheit. Die Geschichte kann man nicht verändern; es ist aber verständlich, daß verschiedene Völker sie unterschiedlich interpretieren: was für Europa Expansion, Abenteuer und Bereicherung bedeutete, bedeutete für die Amerikaner Untergang; Verlust ihrer Kultur, Freiheit und Identität; in vielen Fällen geradezu ihre Auslöschung.

Geschichte ist eine Art kollektives Gedächtnis der Völker, Kunst eine der eindringlichsten Methode, Geschichte zu machen. Zum Beispiel: die akademische Geschichte des zweiten Weltkrieges wird nie das erzählen können, was die Kunstwerke (Theater, Roman, Lyrik, Malerei, Musik, Kino, usw.) zu dem Thema beitragen.

Das Gedicht Boletín y Elegía de las Mitas wurde 1956 von César Dávila Andrade (Cuenca 1919 geboren, Caracas 1966 gestorben) geschrieben. Es behandelt ein sehr schmerzhaftes Kapitel unserer Geschichte: während des 16ten- und 17ten Jahrhunderts benutzt der Spanier die Indios als Sklave (juristisch war der Indio nie ein Sklave, de facto schon) in Haciendas, Textilfabriken (Encomiendas) und Minen (Mitas) für die Beförderung von Gold und Silber. Das Leid der Indiobevölkerung wurde in der Geschichte bereits dokumentiert. Das Gedicht von César Dávila Andrade beschreibt es aber mit einer anderen, einer poetischen Sprache. Zusätzlich projiziert das Gedicht das Schicksal des Indio in unsere Zeit: keine Nation ohne ihn ist möglich, keine Zukunft ohne ihn ist möglich.

Meine Nähe zu diesem Gedicht erklärt sich zunächst aus meinem Kontakt zu César Dávila (als Jugendlicher habe ich ihn gekannt und wir haben, gemeinsam mit anderen Freunden, „recitales“, Konzerte aufgeführt). Das Thema des Gedichts ist mir zudem besonders nah: mein Vater ist reiner Indio und hat die Integration diese Bevölkerungsschicht in unsere Gesellschaft als zentrales Anliegen in seinem Leben betrachtet, nicht zuletzt in seinem Buch „El Indio Cerebro y Corazón de América“.

Schon 1963-4 wollte ich diese Kantate schreiben, jedoch glaube ich jetzt erst die künstlerischen und technischen Mittel gefunden zu haben, dies zu realisieren.

KURZE BESCHREIBUNG

Die Komposition hat eine Dauer von ca. 90 Minuten und besteht aus zwei sich ergänzenden Schichten, eine Klang-Schicht und eine Visuelle-Schicht.

DER KLANG:

3 Chöre:
-ein Chor (20 gemischte Stimmen) spricht Fragmente einer Übersetzung des Gedichts in Quichua;
-ein Chor (12 männliche Stimmen, im Raum verteilt), schreit Fragmente des Gedichts;
(..yo soy Juan Atampam….etc.)
-ein Chor (8 gemischte Stimmen) singt lyrische Kommentare.

Intrumentale Gruppe:
-Orquesta de Instrumentos Andinos: dieses Orchester existiert über mehrere Jahre und besteht aus Instrumenten, die sich in den Anden (vor und nach der spanischen Eroberung) entwickelt haben;
-4 Klarinetten, 4 Flöten;
-Holz-Klangobjekte.

Andere Klangquellen:

-Elektronische Klänge, von Computern generiert;
-Tondokumente, z. B. das ganze Gedicht, vom Dichter selbst gelesen, leider
in schlechter Tonqualität;
-Elektronische Klangverarbeitung in Echtzeit (Max-MSP).

Total ca. 80-85 Musiker, von einem Dirigenten geleitet.

DIE VISUELLE SCHICHT:

Auf eine Großleinwand werden Gesichter von Indianern und Mestizen gezeigt: Kinder, Erwachsene, Alte, traurige, freudige, mit Krawatte, mit Poncho, spielend, saufend, dreckig, sauber, gut gekleidet, Penner, Politiker, executives “aus der „guten Gesellschaft“, Sportler, jeweils nur das Gesicht, ohne jegliche Folklore und Anekdote. Es wird sehr bald klar sein, daß kaum ein Mensch in unserer Gesellschaft frei von dem „Makel“ indianischen Bluts ist. Die Portraits werden den Hauptsatz des Gedichts illustrieren: Yo soy, Ich bin. Die Fotos sind von mir selber 2006 realisiert worden.

DIE URAUFFÜHRUNG:

Die Uraufführung fand am 25, 26 und 27 Oktober 2007 im Teatro Sucre, Quito, statt.